„Die Unterstützung ist unglaublich.“

Im Februar 2022 überfällt die russische Armee das Nachbarland Ukraine. Fassungslos darüber, dass ein solches Verbrechen noch möglich ist, organisieren viele Menschen Hilfslieferungen ins Kriegsgebiet, um den Menschen dort nach Möglichkeiten zu helfen. Die Familien des Gymnasium Schönefeld sammeln mehrere Kubikmeter Hilfsgüter, die mit vielen an anderer Stelle gesammelten Gütern in einem Konvoi in die Ukraine gebracht werden sollen. Ein Lehrer unserer Schule fährt im Wechsel gemeinsam mit einem Vater einer Schülerin einen Transporter des Konvois.

Hallo Herr Baumgard, Sie wollen mit einem Autokonvoi an die polnisch-ukrainische Grenze fahren?
Ja genau, mittlerweile sind wir 25 Autos und wir werden heute Abend erst sehen, wenn wir die Autos beladen, wie viele es wirklich werden.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Seit einer Woche haben meine Frau und ich darüber gesprochen, was man tun könnte. Wir haben uns in einem Onlineportal angemeldet, in dem sich auch ukrainische Flüchtlinge eintragen konnten und vier Betten angeboten. Daraus ist die Idee erwachsen, mehr Menschen zu helfen.

Sie fahren in ein Kriegsgebiet. Wie denken Sie wird die Übergabe?
Die Spenden der Schule sind ein Teil der gesamten Lieferung, die sich auch aus Spenden meiner Heimatgemeinde zusammensetzt und durch das große Engagement von Eltern erhalten wir sogar Spenden aus der Spreewaldregion. Es wird bestimmt eine chaotische Situation, da es sicherlich schon schwierig genug wird, unsere Kolonne zu organisieren. Der große Vorteil ist aber, dass wir Leute haben, die schon dort waren, die also die Bedingungen vor Ort kennen. Wir fahren auch nicht an den größten Grenzübergang im Süden, sondern an die kleineren beiden, die sich im Norden befinden. Ich denke, dass es gut funktionieren wird, auch dadurch, dass wir eine ukrainische Dolmetscherin dabei haben und zusätzlich auch Leute, die polnisch und russisch sprechen können. Wir sind für die Fahrt gut gerüstet.

Haben Sie Angst, vor dem was Sie erwarten könnte?
Auf Grund der geografischen Lage ist natürlich eine gewisse Gefahr gegeben. Zum Glück für die, die es über die Grenze geschafft haben, spielt sich der Krieg eher im östlichen und im nördlichen Teil der Ukraine ab, sodass der Korridor zu Polen davon eher wenig betroffen ist. Die Lage kann sich natürlich stündlich ändern. Wir haben auch Exit-Strategien besprochen „was passiert, wenn …“ ob wir dann wirklich weiterfahren oder ob wir andere Anlaufpunkte suchen. Darauf muss man auf jeden Fall vorbereitet sein.

Wie war das Feedback aus der Schule?
Ich war total überrascht. Als erstes habe ich das im Kollegium angesprochen, wobei ich mir da auch sehr sicher war, dass ein gutes Feedback kommen wird. Aber spätestens als ich die E-Mail rausgeschickt habe, hat mein Telefon nicht mehr stillgestanden. Die breite Unterstützung ist unglaublich.

Haben Sie auch in irgendeiner Art schlechtes Feedback oder Kritik für diese Aktion erhalten?
Nein überhaupt nicht. Für mich wäre es sowieso schwer greifbar gewesen, wenn irgendjemand negativ zu so einer Aktion stehen würde.

Haben Sie vor oder denken Sie, dass Sie es schaffen könnten, über die Grenze zu gehen?

Auch das haben wir besprochen und es wurde auch bei mir zu Hause thematisiert. Ich habe selbst kleine Kinder und es steht für mich fest, dass ich nicht über die Grenze gehen werde.

Wir haben noch eine Lieferung von einer ukrainischen Organisation in Mainz, die über eine Tonne Medikamente schickt. Diese Medikamente sind bestimmt für ein Krankenhaus in der Ukraine und wenn ich keine Kinder hätte, könnte ich mir auch vorstellen, diese Tour zu begleiten. Aber man muss auch das Gleichgewicht zwischen Hilfe und Selbstschutz finden und es ist keinem geholfen, wenn da dann Probleme auftreten.

Wollen Sie auch Geflüchtete bei sich zu Hause aufnehmen?

Ja, das ist eigentlich das Ziel. Wir fahren mit Transportern, Bussen, privaten PKWs  hin, die bis unters Dach mit Hilfsgütern beladen sein werden. Wenn wir die Sachen abgeliefert haben, werden wir von der polnisch-ukrainischen Grenze Geflüchtete mitnehmen. Es gibt verschiedene Apps bei denen man sich registrieren kann, wenn man Geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufnehmen kann und möchte. Ich habe eine Liste mit allen, die sich von der Schule gemeldet haben und Geflüchtete aufnehmen wollen. Diese Familien werde ich dann am Sonntag kontaktieren und die Schutzsuchenden zu den Familien bringen.

Die vielen Schulspenden werden zusammen mit anderen Hilfen zum Transport verladen. (Foto bgd)

Was würden Sie tun, wenn Sie nicht bis zur Grenze durchkommen – wegen einem Stau oder etwas anderem?

Wir würden die Route ändern, da es in Polen mehrere Anlaufstellen für Geflüchtete gibt. Wenn es überhaupt kein Durchkommen zur Grenze gibt – wovon wir nicht ausgehen –, dann gäbe es ein paar Kilometer weiter das Deutsche Rote Kreuz, ein großes Hilfelager, zu dem man auch seine Spenden bringen kann.                                                 

Wie werden Sie die Nacht verbringen?

Wir werden im Auto mit Schlafsäcken übernachten.

Vielen Dank für das Interview und viel Glück und Erfolg für diese Aktion.

Einige Tage später können wir Herrn Baumgard nach seiner Rückkehr nach Schönefeld zu der Fahr befragen.

Hallo Herr Baumgard, mit wie vielen Fahrzeugen sind sie schlussendlich in die Ukraine gefahren?

Wir sind am Ende mit 15 PKWS und einem LKW gefahren.

Und wie lief die Übergabe?

Vor Ort war es relativ unübersichtlich, obwohl es ein sehr kleiner Grenzübergang ist. Es war alles sehr eng und die Polizei hat entsprechend auch auf der polnischen Seite sehr viel abgesperrt, dadurch konnte man sich nicht einfach irgendwo hinstellen.
Überall standen Menschen mit Schildern, die manchmal erfolgreich, manchmal verzweifelt Angehörige oder Bekannte gesucht haben. Dazu waren auch andere Gruppen mit Hilfsmittel da. Es war etwas chaotisch. Sich da zu koordinieren und herauszufinden, wo man was hinzubringen hat, war nicht einfach. Zudem wurde uns schnell klar, dass wir das nicht alles, was wir dabei hatten, an der Grenze abgeben können, weil es schlicht zu viel war. Die Kapazitäten der Zelte vor Ort – ob für Nahrungsmittel oder Kleidung – reichten nicht aus. Aber die Menschen waren sehr hilfsbereit und es wurde eine Lösung gefunden. Für unsere Hilfsmittel wurde extra ein Vereinsheim aufgeschlossen. Von dort wurden die Sachen an Hilfsorganisationen oder direkt in die Ukraine gebracht.

Haben sie von dort auch Menschen nach Deutschland bringen können?

An dem Tag haben wir insgesamt 72 Leute nach Deutschland mitgenommen. Danach sind auch nochmal Leute von uns dorthin gefahren, sie haben 48 Menschen mitgebracht. Die sind, wenn möglich, bei ihrer Verwandtschaft in Deutschland untergekommen. Wir hatten auch eine Familie von sechs Personen dabei, die haben wir zum Bahnhof nach Berlin gefahren und dort in den Zug gesetzt; die wollten von dort nach Halle weiterfahren. Die Personen, die keine Verwandten oder Bekannten hier haben, die wurden meist im südlichen Raum Berlins, bei Freiwilligen die ihren Wohnraum zur Verfügung stellen, verteilt. Wir haben jetzt auch eine Mutter mit ihren zwei Kindern bei uns.

Steht nochmal so eine Fahrt an?

Das ist gerade wieder in der Planung.

Interview führten mk, in, hr

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